Wie lernen Pferde?
In der Psychologie wird das Lernen als eine dauerhafte Veränderung des Verhaltens, das durch Erfahrung erfolgt, definiert. Diese Verhaltensänderungen ermöglichen eine ständige Anpassung der Lebewesen an ihre Umwelt, wodurch für das einzelne Individuum, als auch für die gesamte Art, Vorteile entstehen. Damit wird deutlich: „Lernen dient immer der Optimierung des eigenen Zustandes“ (Schöning: Clicker Training für Pferde).
Das Lernen an sich muss allerdings erst gelernt werden. Dazu muss ein Lebewesen begreifen, dass sein Handeln sowohl positive, als auch negative Konsequenzen zur Folge haben kann. Bei Pferden geschieht dies schon kurze Zeit nach der Geburt durch die Mutterstute, die ihr Fohlen durch Zwicken in die Kruppe bestraft, wenn dieses ihr beim Trinken am Euter, durch zu starkes Saugen oder Zwicken, Schmerzen bereitet.
Anders als Menschen können Pferde zwei Ereignisse, die zeitlich voneinander getrennt stattfinden, nicht miteinander in Verbindung bringen. Damit ein Pferd eine Assoziation zwischen seinem Verhalten und der daraus resultierenden Konsequenz herstellen kann, darf die zeitliche Differenz nicht mehr als drei Sekunden betragen. Das bedeutet, dass die Folgen einer Handlung, Erfolg oder Misserfolg, Belohnung als auch Bestrafung, sofort eintreten müssen.
Ohne Kommunikation kann kein Lernen stattfinden. Kommunikation bedeutet nichts anderes als Nachrichtenaustausch.
Gelernt werden Informationen über die Umwelt und die Zusammenhänge zwischen bestimmten Dingen. Durch Kommunikation gelangen diese Dinge an den Ort der Verarbeitung: das Gehirn.
Es werden nur Dinge perfekt gelernt, die in einem zeitlichen engen Zusammenhang (ca.1 Sekunde) miteinander stehen.
Diese Signale können nur durch immer wiederkehrende Wiederholungen fest im Gehirn (Langzeitgedächtnis) verankert und somit reell gelernt werden.
Verhalten, welches eine angenehme Konsequenz (Belohnung) nach sich zieht, wird auf Dauer öfter gezeigt. Die Motivation ist hierbei die sogenannte Zustandsoptimierung.
Verhalten, welches negative Konsequenzen nach sich zieht, wird immer weniger oft gezeigt. Denn dies würde den eigenen Zustand gefährden.
Belohnung und Strafe sind subjektive Einschätzungen, die jeweils von der "Einstellung" des Empfängers und der Situation abhängig ist.
(Quelle: Pferdeverhalten, Dr. Barbara Schöning)
Die Lernfähigkeit eines Lebewesen ist abhängig von
genetischen Faktoren
vom momentanen körperlichen Zustand
vom Körperbau
oder auch von bisherigen Erfahrungen
(Mc Farland 1986)
"Ein Pferd mag Ihnen gegenüber vielleicht ungehorsam sein, aber den Gesetzmäßigkeiten des Lernens gehorcht es stets ausnahmslos und perfekt." (Jean Donaldson)
Lernmethoden
Klassische Konditionierung
Klassische Konditionierung heisst, dass das Pferd ein bestimmtes Verhalten auf ein neues Signal hin zeigt. Das Pferd zeigt also auf einen beliebigen Reiz schon eine bestimmte Reaktion. Beispielsweise trabt es an der Longe auf ein Anheben der Peitsche an. Nun wird der Reiz mit einem Signal verknüpft. Der Longenführer gibt jedes Mal das Kommando «Te-rab» bevor er die Peitsche anhebt. Das Pferd wird merken, dass auf das Signal «Te-rab» immer die Peitschenhilfe folgt. Schon bald trabt es auf das Signal, das Stimmkommando, an. Das Anheben der Peitsche ist nicht mehr notwendig. Klassische Konditionierung ist also ein Lernen durch Gewohnheit und funktioniert auch ohne Lob.
Das Signal muss immer vor dem Reiz erfolgen, auf den das Pferd reagiert. Umgekehrt funktioniert es nicht.
Operante Konditionierung
Operante Konditionierung liegt vor, wenn das Pferd etwas Neues lernt. Was es lernt, hängt von den Folgen seines Verhaltens ab. Hatte ein Verhalten Folgen, die das Pferd als angenehm empfand (Belohnung), wird es das Verhalten wahrscheinlich öfter zeigen. Wurde das Pferd hingegen für ein Verhalten nicht belohnt, wird es dieses Verhalten eher nicht mehr zeigen und etwas anderes versuchen. Mit der operanten Konditionierung kann man das Verhalten eines Pferdes sehr genau formen, je nachdem, was man belohnt und was nicht. Man unterscheidet hier zwischen positiver und negativer Verstärkung. Die Begriffe «positiv» und «negativ» haben aber nichts damit zu tun, wie das Pferd die Verstärkung empfindet. Sie beziehen sich stattdessen darauf, wie ein Lob erfolgt.
Negative Verstärkung
Druckaufbau-richtige Reaktion- Druck wegnehmen (also jede Reiterhilfe) ist negative Verstärkung. Druck wird VOR erwünschter Reaktion aufgebaut. Wird der Druck noch weiter erhöht, weil nicht die gewünschte Reaktion kommt, kann man schon in den Bereich positive Strafe kommen. Ein Lob NACH erwünschtem Verhalten durch vorherigen Druckaufbau ist KEINE positive Verstärkung.
Positive Verstärkung
Ein Pferd zeigt erwünschtes Verhalten OHNE Druckaufbau (Shapen)- folgt positive Verstärkung(Leckerli, Streicheln). Positive Verstärkung erfolgt NACH erwünschtem Verhalten.
Negative Strafe
Etwas Angenehmes wird NACH unerwünschtem Verhalten entfernt, z.B. Aufmerksamkeit, das Pferd wird ignoriert, bekommt keine Bestätigung.
Positive Strafe
Etwas Unangenehmes wird NACH unerwünschtem Verhalten hinzu gefügt, z.b. Schlag mit der Gerte
Ob etwas ein Lob oder eine Strafe ist,hängt nicht davon ab, wie es gemeint ist,sondern wie es der Empfänger (das Pferd) empfindet!
Gewöhnung/Habituation
Die Gewöhnung oder Habituation ist eine sehr einfache Form des Lernens. Sie findet statt, wenn derselbe Reiz wiederholt auftritt, dieser aber weder mit angenehmen noch mit unangenehmen Folgen verbunden ist. Hierdurch nimmt die Reaktionsstärke des Pferdes auf den Reiz immer weiter ab. Gewöhnung bedeutet also eine Erhöhung der spezifischen Reizschwelle eines Reizes. „Dies ist ein sinnvoller Lernvorgang, da er verhindert, dass in der Umwelt vorkommende, harmlose Reize nicht ein Leben lang mit einer Schreckreaktion beantwortet werden müssen“ (Zeitler-Feicht: Handbuch Pferdeverhalten). Allerdings ist der Lernvorgang der Gewöhnung reversibel. Bei mangelnder Wiederholung des Reizes oder einer einmaligen schlechten Erfahrung mit einem Reiz, tritt die ursprüngliche Reaktion auf den Reiz wieder auf.
Gewöhnung tritt beispielsweise ein, wenn Pferde auf einer Weide stehen die neben einer Straße liegt. Anfangs, wenn die Pferde noch keine Kraftfahrzeuge kennen, werden sie vor den vorbeifahrenden Fahrzeugen flüchten. Dadurch, dass der Reiz der vorbeifahrenden Fahrzeuge immer wieder auftritt, dies jedoch keine Folgen für die Pferde auf der Weide hat, wird sich die Reaktion der Pferde auf die Fahrzeuge immer weiter abschwächen, bis schließlich fast überhaupt keine Reaktion mehr erfolgt. Neben dem Lernvorgang der Gewöhnung spielt hierbei aber auch die Stimmungsübertragung eine Rolle. Noch unerfahrene Pferde lernen von den erfahrenen Pferden, die bei vorbeifahrenden Fahrzeugen völlig ruhig bleiben, dass von diesen Objekten keinerlei Gefahr ausgeht.
Sensitivierung/Sensibilisierung
Eine Sensibilisierung/Sensitivierung findet meist auf viele der möglichen Reize statt. Dennoch kann es bei einer Gewöhnung auch zu einer Sensibilisierung gegenüber des angstauslösenden Reizes kommen, z.B. auf Geräusche. Dies ist der Fall, wenn es sich um sehr starke Reize handelt und um Reize, die Angst hervorrufen oder Schmerzen bereiten. Im Optimalfall ist ein Pferd sensibler auf die Reiterhilfen. Beim Lernen der Hilfen wird ebenfalls mit Sensitivierung gearbeitet.
Desensibilisierung
Die Desensibilisierung ist eine Lernmethode, die auf einer schrittweisen Gewöhnung basiert. Wie bei der Gewöhnung wird durch die Desensibilisierung eine Toleranz gegenüber zunächst beängstigenden Gegenständen, wie Regenschirmen, Plastikplanen oder Sprühflaschen, erreicht.
Die Methode, ein Pferd gegenüber solchen Gegenständen zu desensibilisieren, ist die progressive, eine fortschreitende, Desensibilisierung. Es wird dabei zunächst mit einem stark abgeschwächten Reiz begonnen, der im Verlauf der Desensibilisierung über eine allmähliche Reizsteigerung immer stärker wird. Dadurch wird eine Erhöhung der Reizschwelle, deren Überschreitung eine Fluchtreaktion auslösen würde, erreicht. Die Zunahme der Intensität des Reizes, muss in so kleinen Schritten erfolgen, dass die nächsthöhere Reizstufe nicht genügt, eine Fluchtreaktion auszulösen. Jeder Schritt, der in die richtige Richtung führt, wird durch positive Verstärkung belohnt und solange geübt, bis der momentane Reiz in seiner Intensität vollständig toleriert wird. Erst dann erfolgt wieder eine Erhöhung des Reizes.
„Ein besonderer Bestandteil dieser Methode ist das Konzept von ’Vorstoß und Rückzug‘“ (Weritz: Das Lernverhalten der Pferde). Dabei zeigt man dem Pferd zunächst den Gegenstand, zieht ihn aber dann langsam zurück wenn das Pferd ihn beschnuppert. Auf diese Weise verhält sich der Gegenstand vollkommen „raubtieruntypisch“, da sich ein Raubtier, wenn es sich an die Beute anschleicht, nicht plötzlich wieder zurückzieht. Durch dieses „ängstliche Verhalten“ des Gegenstandes, wird dem Pferd die Angst vor diesem genommen und stattdessen die Neugier geweckt. Genauso verhält es sich mit der Situation "Folge der Gefahr". Hier wird ein angstauslösendes Objekt (Plane, Traktor, usw.) quasi vom Pferd "verfolgt". Das Pferd bewegt sich vorwärts aber dennoch auf den Reiz zu, nicht der Reiz bewegt sich auf das Pferd zu. Dies ist eine völlig neue Perspektive für das Pferd und es gewinnt an Interesse und Selbstvertrauen.
Reizüberflutung/Flooding
Die Reizüberflutung, die auch unter dem Namen „Flooding“ bekannt ist, stellt eine Methode dar, mit der, anders als bei der Desensibilisierung, versucht wird, ein Pferd möglichst schnell an beängstigende Reize zu gewöhnen. Das Pferd wird dabei solange dem Angst einflößenden Reiz ausgesetzt bis es schließlich keine Angstreaktion mehr zeigt. Dies muss aber nicht bedeuten, dass das Pferd sich an den Reiz gewöhnt hat, denn das Ausbleiben von weiteren Angstreaktionen könnte auch darin begründet sein, dass das Pferd sowohl physisch als auch psychisch erschöpft ist.
Beispiele für die Reizüberflutung ist ein Einreiten innerhalb einer einzigen Übungseinheit, bei dem ein zuvor rohes Pferd zum ersten Mal gezäumt, gesattelt und sogar schon geritten wird oder das Aussacken bzw. Auslappen, bei dem das Pferd gut fixiert und solange mit Tüchern oder Folien berührt wird, bis keine Angstreaktion und kein Widerstand mehr erfolgt.
Ein weiteres Problem dieser Methode ist, dass wenn diese zu früh beendet wird, eine
Verschlimmerung der Angstreaktion die Folge sein kann. Auch ist diese Methode nicht ungefährlich, da bei unkontrollierbaren Panikreaktionen sowohl Pferd aber auch Menschen verletzt werden können.
Manchmal wird die Reizüberflutung als Desensibilisierung bezeichnet. Die Desensibilisierung ist jedoch eine Methode, deren Ziel es ist das Pferd angstfrei, Schritt für Schritt und unter positiver Verstärkung des erwünschten Verhaltens, an beängstigende Reize zu gewöhnen. Dies ist bei der Methode der Reizüberflutung nicht gegeben. „Es handelt sich um einen Lernvorgang unter permanenter Angst“ (Zeitler-Feicht: Handbuch Pferdeverhalten). Aus diesem Grund lehne ich die Reizüberflutung als Lernmethode ab.
Prägung
Prägung bezeichnet einen Lernprozess, bei dem die Lernfähigkeit auf einen geringen begrenzten stammesgeschichtlich, sowie arttypisch festgelegten Zeitraum ausgelegt ist. Diesen Zeitraum nennt man sensible Phase. In dieser Phase müssen überlebenswichtige gelernt werden. Das Lernergebnis ist besonders stabil.Versäumte Lernprozesse in dieser Phase, können zu erheblichen Verhaltensstörungen führen.
Zur Prägung gehören die Objektprägung, die sexuelle Prägung sowie die Futterprägung. Die sensible Phase der Objektprägung, sowie der sexuellen Prägung kann von einer halben Stunde bis maximal zwei Tagen nach der Geburt andauern. Die Futterprägung findet dagegen über die gesamte Jugendzeit hin statt. „Nahrungsmittel, die Pferde in der Jugend zu fressen bekommen, prägen sich besonders gut ein“ (Zeitler-Feicht: Handbuch Pferdeverhalten). Dies wirkt sich entscheidend auf die spätere Nahrungspräferenz aus. Bei der Objektprägung, lernt das Fohlen, das bei seiner Geburt weder weiß was seine Mutter ist, noch zu welcher Art es gehört, über visuelle, akustische und geruchliche Sinneseindrücke seine Mutter und damit auch seine Art kennen. In dem Moment, ab dem das Fohlen der Mutterstute aktiv folgt, ist diese Prägung abgeschlossen. Wird der Kontakt zwischen Mutterstute und neugeborenem Fohlen während der sensiblen Phase massiv gestört, so dass sich das Fohlen mehr auf ein anderes Objekt, z.B. einen Menschen, als auf seine Mutter fixiert, kann es zu einer Fehlprägung kommen. Dies wird vor allem im geschlechtsreifen Alter problematisch.
Es ist aber durchaus vorteilhaft, wenn das Fohlen bereits in dieser Phase den Menschen als freundliches und zu respektierendes Wesen kennen lernt. „Allein durch die Anwesenheit des Menschen erreicht man, dass sich das Fohlen sowohl an seine Mutter als auch an den Menschen binden kann“ (Weritz: Das Lernverhalten der Pferde). Auf diese Weise entstehen erst gar keine Ängste vor dem Menschen, was sich positiv auf die weitere Ausbildung auswirkt.
Motorisches Lernen
Motorisches Lernen wird durch eine ständig sich wiederholende Abfolge von Verhaltensweisen geprägt und im Gedächtnis gespeichert. Verhaltensweisen werden zwar durch operante Konditionierung erlernt, aber nur durch motorisches Lernen wirklich gefestigt. beim richtigen Angaloppieren beispielsweise, werden die Hilfen dazu und das richtige Anspringen opernat erlernt. Dennoch braucht es gewisse motorische Fähigkeiten, um das Angaloppieren korrekt auszuführen und damit das Gelernte zu festigen.hieran erkennt man, wie wichtig motorisches Lernen in der Pferdeausbildung ist, denn sämtliche neue Bewegungsmuster müssen unter dem Reiter so gefestigt werden.
Nachahmung
Lernen durch Nachahmung oder Lernen durch Beobachtung, wie dieser Lernvorgang auch bezeichnet wird, zählt wie das Lernen durch Einsicht, zu den kognitiven Lernformen. „Beim Lernen durch Nachahmung werden optisch oder akustisch wahrgenommene Verhaltensmuster eines Artgenossen kopiert“ (Weritz: Das Lernverhalten der Pferde). Echtes Lernen durch Nachahmung findet nur statt, wenn ein Pferd nur durch das Beobachten eines Artgenossen ein neues Verhaltensmuster zeigt, das zuvor bei diesem nicht bekannt war und auch nicht angeboren ist. Wissenschaftlich konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass Pferde zum Lernen durch Nachahmung fähig sind.
Soziale Anregung/Stimmungsübertragung
Die Stimmungsübertragung oder soziale Anregung ist ein weiterer Lernmechanismus, den Pferde als Herdentiere besitzen. Junge Pferde orientieren sich an ihrer Mutter und den anderen älteren und erfahrenen Pferden, da sich diese in derselben Situation befinden. Nicht zu verwechseln ist die Stimmungsübertragung allerdings mit der Nachahmung, denn im Gegensatz zur Nachahmung ist bei der Stimmungsübertragung das gezeigte Verhaltensmuster bereits bekannt.
Für das Fluchtier Pferd ist die Stimmungsübertragung überlebenswichtig. Hebt ein Pferd alarmiert den Kopf und nimmt eine fluchtbereite Körperhaltung ein, überträgt sich dies sofort auf die ganze Herde. Die Stimmungsübertragung ermöglicht bei Gefahr eine sofortige Fluchtreaktion der gesamten Herde, auch wenn nur ein einziges Tier die Gefahr wahrgenommen hat. Ein weiteres Beispiel für die Stimmungsübertragung stellt das Wälzen dar, bei dem oft ein Pferd der Herde mit dem Wälzen beginnt und sich daraufhin auch die anderen Herdenmitglieder nach und nach wälzen.
Die Stimmungsübertragung hat aber auch bei der Ausbildung von Pferden und im täglichen Umgang mit diesen Tieren eine große Bedeutung. Der Angst eines Pferdes begegnet man beispielsweise am besten, indem man diese vollständig ignoriert und mit selbstsicherer Ausstrah-lung mit Hilfe der Stimmungsübertragung das Pferd davon überzeugt, dass seine Angst unbe-gründet ist. „Die Übertragung der eigenen Ruhe wirkt dem Angstgefühl des Pferdes am effekttiefsten entgegen“ (Weritz: Das Lernverhalten der Pferde).
Lernen aus Einsicht
Lernen durch Einsicht ist ein Lernvorgang, der auf kognitiven Prozessen beruht. Darunter versteht man, dass eine Situation bzw. der Sachverhalt eines Problems erkannt und verstanden werden muss. Bereits bekannte Lösungswege werden nun kombiniert, um das neue Problem zu lösen. Der Lösungsweg wird zunächst in Gedanken durchgespielt, bevor dann die schnelle und zielgerichtete Lösung des Problems erfolgt. Lernen durch Einsicht geschieht also nicht durch Ausprobieren, sondern durch Nachdenken. Um sicher gehen zu können, das ein gezeigtes Verhalten nicht auf Lernen durch Versuch und Irrtum basiert, muss vorher ausgeschlossen werden, das ein Pferd noch nie eine solche Situation erlebt und sein Verhalten ausprobiert hat.
Löschung
Die Auslöschung oder Extinktion ist eine Methode, die zum Vergessen von unerwünschten Verhaltensweisen führen soll. Viele unerwünschte Verhaltensweisen können allein durch striktes Ignorieren deutlich reduziert werden.
Dazu gehören alle Aufmerksamkeit fordernden Verhaltensweisen, wie beispielsweise das Scharren eines angebundenen Pferdes, wenn man sich kurz von diesem entfernt, oder das Schlagen gegen die Boxentür. Jede Art der Aufmerksamkeit durch den Menschen, auch positive Bestrafung in Form von Schimpfen oder leichten Schlägen, bedeutet in dieser Situation Zuwendung, also Sozialkontakt für das Pferd und verstärkt somit dieses Verhalten. Wichtig ist hierbei das richtige, vollständige Ignorieren. Das bedeutet, dass man das Pferd weder an-schaut, noch anspricht, noch berührt.
Beginnt das Pferd, wenn es zum Putzen angebunden ist, zu Scharren, wenn man sich von ihm abwendet und sich von ihm entfernt, um etwa eine Bürste zu holen, kehrt man auf keinen Fall, außer das Pferd ist kurz davor sich zu strangulieren, zu diesem zurück solange es scharrt. Man wartet ab und ignoriert das Pferd vollständig. Erst wenn das Pferd mit dem Scharren aufgehört hat, kehrt man wieder zu ihm zurück. Diese Methode ist besonders wirksam, wenn das Pferd durch viel Lob ausgebildet wird, da es dann die negative Bestrafung, durch totale Missachtung, also Wegnahme des Sozialkontaktes, als besonders unangenehm empfindet.
Die Methode der Auslöschung durch Ignorieren ist allerdings nur dann erfolgreich, wenn sich wirklich alle Personen, die mit dem Pferd, das durch Auslöschung ein unerwünschtes Verhalten vergessen soll, Kontakt haben, an das Ignorieren halten und konsequent jede Art der Verstärkung vermieden wird. „Dadurch wird dem Verhalten auf Dauer die Grundlage entzogen. Eine einmalige Inkonsequenz genügt jedoch, um das alte Verhalten wieder im vollen Ausmaß aufkommen zu lassen“(Zeitler-Feicht: Handbuch Pferdeverhalten). Wird ein Aufmerksamkeit forderndes Verhalten zwischendurch immer Mal wieder durch Zuwendung belohnt, auch wenn es sonst ignoriert wird, wird das unerwünschte Verhalten, durch die hierbei wirkende intermittierende Verstärkung, erst recht gefestigt.
Es ist allerdings nicht möglich ein unerwünschtes Verhalten vollständig auszulöschen. „Im Idealfall lässt es sich nur auf ein Minimum reduzieren“ (Zeitler-Feicht: Handbuch Pferde-verhalten). Diese Methode lässt sich also eher mit „Abschwächung“, als mit „Auslöschung„ beschreiben.
Lernhemmende Faktoren
Die Frustration stellt einen dieser Faktoren dar, der die Lernfähigkeit stark vermindert. Sie entsteht, wenn das Pferd seine natürlichen Bedürfnisse und Verhaltensweisen, beispielsweise durch eine ständige Boxenhaltung ohne täglichen freien Auslauf mit Artgenossen, nicht aus-leben, oder das Pferd eine neue Lektion nicht ausführen kann, weil es nicht versteht welches Verhalten von ihm erwartet wird und ihm, egal welches Verhalten es zeigt, signalisiert wird, dass dieses falsch ist. Aufgrund von mangelnder Belohnung sinkt damit auch die, für das Lernen so wichtige, Motivation die neue Aufgabe auszuführen. Wird das Pferd, wenn es eine neu zu lernende Lektion nicht richtig ausführt, bestraft, kann ihm damit jegliche Motivation genommen werden und es ist im Extremfall möglich, dass es in den Zustand der erlernten Hilflosigkeit verfällt.
Stress, der durch physische Belastungen wie Krankheit, Erschöpfung, starke Hitze oder Kälte, Hunger, Durst, aber auch durch beängstigende, alarmierende Reize ausgelöst wird, blockiert, wie die Angst, das Denkvermögen und damit verbunden die Lernfähigkeit am stärksten.
Sowohl bei Angst, als auch bei Stress kommt es durch die Ausschüttung der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin zu einer Erhöhung der Herzschlagfrequenz, des Blutdrucks, der Atemfrequenz, einem verstärkten Muskeltonus, Erhöhung der Körpertemperatur und damit verstärkter Schweißproduktion. Dies wird als sympathoadrenales System bezeichnet. Adrenalin und Noradrenalin bewirken zudem aber auch eine Hemmung der Synapsen. Vereinfacht lässt sich dies so erklären: Die mit Transmittern gefüllten Vesikel, in den Endknöpfchen der Synapse, verschmelzen beim Eintreffen eines Aktionspotenzials nicht mehr mit der präsynaptischen Membran, wodurch die Transmitter nicht in den synaptischen Spalt abgegeben werden können. Die Folge davon ist, dass an der postsynaptischen Membran des benachbarten Neurons kein Aktionspotenzial mehr entstehen kann und demzufolge keine Weiterleitung der Erregung erfolgt.
Durch die Unterbrechung in der Informationsweiterleitung der Nervenzellen infolge von Adrenalin und Noradrenalin wird deutlich, dass je größer der Stress und die Angst und je mehr Adrenalin und Noradrenalin dadurch ausgeschüttet werden, desto weniger ist ein geordnetes Denken und damit Lernen noch möglich. Pferde, die sich in Panik, also im Zustand extremster Angst, befinden reagieren folglich völlig kopflos und unberechenbar.
Das sympathoadrenale System wird auch bei akutem Schmerz aktiviert. Soll beispielsweise ein rohes, uneingerittenes Pferd allein durch Anlegen des Schenkels zum Vorwärtsgehen animiert werden, wird es möglicherweise nicht verstehen, welches Verhalten von ihm verlangt wird, da es den Schenkeldruck als Hilfe noch nicht gelernt hat. Es spürt nur einen unbekannten, unangenehmen Druck, der bei dem unerfahrenen Pferd Angst auslösen kann, da das Pferd, als Fluchttier, in unbekannten Situationen natürlicherweise mit Angst reagiert. Wird nun versucht, das Pferd mit Hilfe von schmerzhaftem Sporen- oder Gerteneinsatz zum Vorwärtsgehen zu animieren, wird infolge des akuten Schmerzes ebenfalls Adrenalin freigesetzt, wodurch die physischen Angstreaktionen, wie Erhöhung der Herzschlags- und Atemfrequenz, aber auch die Hemmung der Synapsen zunehmen und die Lernfähigkeit damit weiter vermindert wird.
Lernfördernde Faktoren
Das Pferd fühlt sich nur unter dem Schutz eines Ranghöheren geborgen, da dieses für die Sicherheit zuständig ist und das rangniedrigere Pferd diesem vertrauensvoll folgen kann. Dem Leittier, das die höchste Stelle in der Rangordnung der Herde inne hat, fehlt der Schutz eines Ranghöheren. Es ist selbst für seine Sicherheit verantwortlich. Um den lernhemmenden Faktor Angst weitestgehend zu vermeiden, ist es deshalb wichtig, dass das Pferd sich unter dem anwesenden Menschen sicher und geborgen fühlt. Dies gelingt nur, wenn sich der Mensch im Umgang mit dem Pferd, durch seine geistige Überlegenheit und seiner Kenntnis über die natürlichen Verhaltensweisen des Pferdes, stets pferdegerecht, konsequent und souverän verhält.
Um den, sich ebenfalls negativ auf die Lernfähigkeit auswirkenden, Stress so gering wie möglich zu halten müssen Pferde täglich mehrere Stunden lang die Möglichkeit zum freien Auslauf zusammen mit Artgenossen haben. Beobachtungen, wie die, dass bei einer hohen Aggressionsrate auch die meisten Spielaktionen festzustellen sind, lassen darauf schließen, dass das Spielverhalten auch dazu dienen könnte, Stress abzubauen. Pferde spielen oft alleine, was als Solitärspiel bezeichnet wird. Das Solitärspiel äußert sich vor allem in Laufspielen mit übermütigen Bocksprüngen und stark ausgeprägten, akzentuierten Bewegungen. Aber auch das solitäre Objektspiel, das Spielen mit Gegenständen aller Art, wie zum Beispiel mit Ästen, kann oft beobachtet werden. Besonders gerne spielen Pferde jedoch mit Artgenossen. Zu diesen Sozialspielen gehört das Kampfspiel junger Hengste, Laufspiele, oft auch mit gegenseitigem Jagen, aber auch das soziale Fellkraulen.
Möglichst lange, ausgedehnte Fresszeiten, die durch die Fütterung von Raufutter erreicht wer-den, kommen dem natürlichen Tagesablauf der Pferde am nächsten. Durch das Ausleben dieses natürlichen Verhaltens verbunden mit viel freiem Auslauf und Kontakt zu Artgenossen verhindert man das Aufkommen von Frustration.
Pferde verfügen über eine hohe Sinnes- und Wahrnehmungsleistung, die dafür prädestiniert ist eine große Anzahl an Reizen aufzunehmen, denn als Flucht- und Wanderwild konnte es während seiner Phylogenese nur dadurch überleben, dass es extrem wachsam war und seine Umwelt „Sowohl das Neugier- als auch das Erkundungsverhalten gelten neben dem Spiel als der ’Hauptmotor zum selbstständigen Lernen‘“ (Zeitler-Feicht: Handbuch Pferdeverhalten). Beim Neugierverhalten werden unbekannte Gegenstände vorsichtig beäugt, beschnuppert, beleckt und angetippt. Das Erkundungsverhalten äußert sich in ähnlicher Weise, wobei dieses auf die räumlichen Orientierung gerichtet ist und hierbei größere Gebiete aufmerksam durchstreift und weite Entfernungen zurückgelegt werden. Im Fohlen- und Jungpferdealter, in dem auch die Lernkapazität am größten ist, sind Neugier-, Spiel- und Erkundungsverhalten am stärksten ausgeprägt. Es ist deshalb sehr wichtig, dass Pferde in diesem Alter viele Möglichkeiten zum Erkunden haben und sie bereits jetzt viele Dinge und Situationen kennen lernen. „Pferde, die von klein auf im Lerntraining sind, werden auch ihr Leben lang besser und schneller lernen, als solche, die dazu keine Möglichkeit hatten“ (Zeitler-Feicht: Handbuch Pferdeverhalten). Im Erwachsenenalter werden diese Pferde dann auch viel erfahrener und weniger schreckhaft sein. Zudem lernen Pferde auch zunehmend leichter und schneller, je mehr sie lernen.
Leiden Pferde, beispielsweise durch eine Haltung in hochgeschlossenen Innenboxen, unter einem Mangel an Umweltreizen, sind auf Dauer Reizverarmung und eine damit verbundene Senkung der Reizschwelle die Folge. Diese Pferde erschrecken schließlich bei jeder Kleinigkeit, da das Überschreiten der Reizschwelle, die bei diesen Pferden sehr niedrig ist, dem Pferd Gefahr signalisiert.
Beim Training mit dem Pferd sollte auch auf dessen Konzentrationsvermögen Rücksicht genommen werden. Erwachsene Pferde können sich maximal 20 Minuten, junge Pferde nur etwa 10 Minuten am Stück konzentrieren. Man sollte deshalb nicht zu lange an einer neuen Lektion üben, sondern stattdessen immer wieder Erholungsphasen einbauen. „Es genügt außerdem, wie amerikanische Untersuchungen ergaben, anspruchsvolle Lektionen nur einmal pro Woche zu üben. Der Lernerfolg ist deutlich höher als bei täglicher Wiederholung“ (Zeitler-Feicht: Handbuch Pferdeverhalten).
Viele Sinneseindrücke und Erfahrungen, dazu gehören auch die Lernerfahrungen, werden erst während einer Ruhephase nachverarbeitet und gefestigt. Der genaue Vorgang, der als latentes Lernen bezeichnet wird, ist bisher noch nicht vollständig wissenschaftlich erschlossen. Es wird jedoch angenommen, dass das Gehirn neue Erfahrungen während der Ruhephasen am besten verarbeiten kann. Dies gilt besonders dann, wenn das Aufnehmen von neuen Lerninhalten nicht stressfrei abläuft. „In einer stressfreien Zeit hat das Pferd Gelegenheit, das Gelernte zu verarbeiten und ist in der nächsten Trainingseinheit erfolgreicher, weil die durch den Stress ausgelösten Denkblockaden nicht mehr vorhanden sind“ (Weritz: Das Lernverhalten der Pferde). ständig erkundete um Nahrung, Wasser, aber auch sichere Ruheplätze zu finden.
Um einen guten Lernerfolg zu erzielen sollten folglich die lernhemmenden Faktoren Frustration, Stress, Angst und Schmerz weitestgehend vermieden werden. Dazu muss darauf geachtet werden, dass das Pferd seine natürlichen Bedürfnisse ausleben kann und beim Training die Motivation durch positive Verstärkung erhalten bleibt. Das Training sollte, um Stress zu vermeiden, in einer möglichst freundlichen, angenehmen Atmosphäre stattfinden, wobei auf einen schmerzhaften Einsatz von Sporen oder Gerte unbedingt verzichtet werden muss. Auch muss auf eine gute Passform der Ausrüstung des Pferdes geachtet werden, damit von dieser kein unangenehmer Druck oder gar Schmerzen verursacht werden.
(Auszug aus der Facharbeit Pferdeverhaltenstherapie von Nadine Petry)
Schöning, Barbara: Pferdeverhalten, Kosmos Verlag, 2008
Kiley-Worthington, M.: Pferdepsyche-Pferdeverhalten. Grundlagen für Reiter, Halter und Trainer. 2.Auflage. Cham: Müller Rüschlikon Verlag 1993
Schöning, Barbara: Clicker Training für Pferde. 2.Aufl.. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlag 2006
Zeitler-Feicht, Margit H.: Handbuch Pferdeverhalten. 2.Auflage. Stuttgart: E. Ulmer KG 2008
Weritz, Linda: Das Lernverhalten der Pferde. Über den intelligenten Umgang mit Pferden. Brunsbek: Cadmos Verlag 2005